Kapitel 3: Willkommen in der 'Unterkunft'
Als ich besagte Unterkunft erblickte, war ich sehr erstaunt. Das Gebäude war weder hässlich noch trist, groß war es auch nicht und es waren auch eher mehrere kleine Hütten. Es gab ein großes Hauptgebäude und einen Sand- und Sportplatz. Es war kaum einer draußen, obwohl es Sonntag war. Schließlich fuhr das Taxi indem wir fuhren auf einen kleinen Parkplatz. Dort standen auch schon vier Personen, es waren ein blondes kleines Mädchen, ein Rotschopf und zwei Erwachsene, trotzdem konnte man sofort erkennen, dass es sich nicht um eine Familie handelte, denn niemand sprach, alle standen nur still wartend da und beobachten wie meine Brüder und ich ausstiegen und unsere Koffer aus dem Kofferraum holten. Es waren nicht viele, wir hatten noch nie viel gebraucht.
Meine Mutter war inzwischen schon ausgestiegen und hatte die erwachsene Frau umarmt. Den erwachsenen Mann begrüßte sie etwas kühler durch ein Händeschütteln, genauso tat sie es bei den Jugendlichen. Ich half Connor, dessen Koffer sich verklemmt hatte und kam zu meiner Mutter. „Das sind sie also. Amy, Connor und Liam.“, sprach der erwachsene Mann, „Mein Name ist Derek und ich freue mich euch kennenzulernen. Das ist Grace, wie ich gehört habe, habt ihr euch noch nicht getroffen? Bruce und Sam haben gerade zu tun, ihr werdet sie noch früh genug treffen. Das hier sind Luna und Orion, sie werden mit euch in eine... Unterrichtsgruppe kommen.“ Meine Mutter sah auf ihre Uhr und meinte, dass sie los müsse, zur Arbeit. Sie drückte mir und meinen wenig begeisterten Brüdern einen Kuss auf die Stirn, dann verabschiedete sie sich und fuhr mit dem Taxi zurück.
Super, ich würde sie die nächsten Wochen nicht sehen. So würde sie wenigstens nicht die Chance haben mein Leben schon wieder auf den Kopf zu stellen und weiterhin irgendwelchen Quatsch zu reden, davon dass es nicht bewiesen war, dass es nicht Magie gab. Ich fühlte mich verraten. Erst der Umzug und nun das hier. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich eigentlich genau war und wann ich wieder nach Hause kommen würde. Ach so, Zuhause gab es ja nicht mehr. Ich erinnerte mich noch genau an den Abend, als mir meine Mutter die Welt auf den Kopf gestellt hat. Wir kamen wie immer zum Abendessen, aber man merkte sofort, dass meine Mutter sich unbehaglich fühlte. Sie konnte einfach nicht aufhören zu zappeln. Als sie dann zu Sprechen begann, klang es zunächst sehr nebensächlich, doch man merkte sofort, dass ihre Stimme vor Unsicherheit zitterte. Ich erinnerte mich nicht mehr genau an ihre Worte, sie sagte dass sie mit dem Haushalt nicht mehr klar käme und dass wir keine normalen Kinder wären und wir deshalb in die Nähe unserer Verwandten in Amerika ziehen würden. Tatsächlich waren Sam und Grace an dieser Schule, sie waren die Geschwister meines Vaters und da war ja auch noch mein unbekannter Opa Bruce, den ich noch nie gesehen hab, nur auf Photos. Ich konnte mich noch gut erinnern, wie ich aus dem Hemd platzte und joggen gegangen war. Noch Tage später hatte ich mich noch nicht mit meiner Mutter wieder vertragen. Und nun hatte sie mich hier einfach allein gelassen. Ich atmete tief ein und aus, denn das half manchmal, und begann zu warten. Mir viel dabei auf ,dass es hier sehr gut roch. Nach Tannennadeln und Kieferzapfen, nach Harz und frischer Luft. Daheim hatte es immer nach Abgasen gerochen, man hatte anstatt der hier zwitschernden Vögel nur Auto und LKWs gehört.
„Okay, Melanie scheint noch nicht da zu sein, aber damit ihr euch heute schon einmal einrichten könnt, werden wir jetzt nicht länger auf sie warten. Ich zeige ihnen eure Behausung, du kannst sie dann rüber schicken, wenn sie ankommt.“, sagte Grace, ohne mir und meinen Brüdern ordentlich hallo gesagt zu haben. Sie war mir eine komplett Fremde, bis auf die Verwandtschaft hatte ich nichts mit ihr gemeinsam. Derek nickte nur und schon lief Grace los. Wir folgten ihr. Sie lief auf ein gewöhnliches Bungalow zu.
„Da werdet ihr während eurem Aufenthalt hier wohnen. Es hat zwei Schlafzimmer mit je sechs Betten, ihr könnt euch dort so einrichten, wie ihr wollt, ihr dürft auch die Möbel umstellen, und in dem Haus habt ihr auch einen Computer, der exakt zwei Stunden pro Tag benutzbar ist. Ihr habt zwei Badezimmer, eins für die Jungen und eins für die Mädchen. Randalieren oder sonstiges ist genauso wie Sachbeschädigung verboten. Holz für den Kamin müsst ihr euch selbst beschaffen, und es hängt auch von euch ab, ob bei euch die Käfer herumkrabbeln oder ob nicht. Es ist beinahe euer Haus, aber mindestens einmal im Monat kommt ein Lehrer her und sieht es sich an, also macht nicht zu viel Quatsch. Das wäre alles.“, mit diesen Worten ging sie leicht hämisch grinsend zu dem großen Hauptgebäude.
Kurz standen wir fünf planlos in der Gegend herum, dann ergriff Liam die Initiative: „Dann würde ich mal sagen, gehen wir rein, rumstehen hilft nimmt niemanden etwas. Ich bin übrigens Liam.“ Das Mädchen nuschelte etwas ähnliches wie 'Okay, mein Name ist Luna. Luna Anderson.' Etwas selbstbewusster stellte sich der Junge vor: „Mein Name ist Orion. Lasst uns reingehen.“ Also gingen wir in das Bungalow.
Ich war erstaunt, wie gemütlich alles wirkte. Auf der Rückseite des Bungalows war eine große Fensterscheibe mit Ausblick in den Wald. Es gab eine Couchgarnitur, die in einem fröhlichen orange war, einen Couchtisch, einige Sessel und Bücherregale aus dunklem Holz. Der Karmin schien Wärme auszustrahlen, auch wenn er nicht entzündet war. In der Ecke stand ein mittelalter Computer auf einem kleinem Tisch mit einem Stuhl. Hinter einer kleinen Raumabgrenzung gab es einen kleinen Kühlschrank, eine Spüle, einen Küchenschrank und eine Mikrowelle. Auch ein paar Stühle und ein Esstisch standen in der Nähe. Alles in diesem Hauptzimmer war recht platzsparend eingerichtet, denn das Bungalow war nicht sehr groß, und die Möbel standen alle sehr dicht aufeinander. An den Raum grenzten fünf Türen an, zwei waren sofort als Badezimmer zu erkennen, da an den Türen jeweils ein Schild hing mit einem Männchen oder einem Frauchen.
Ich stellte meine Tasche hin und trat durch eine der anderen Türen. Der Raum dahinter entpuppte sich als Abstellzimmer mit Putzutensilien. Auf der Stelle kam Connor und meinte grinsend: „Schön, dass du dich für dieses Zimmer entschieden hast. Ich nehme dann mal das etwas geräumigere Zimmer nebenan.“ Ich schüttelte nur, ebenfalls grinsend, den Kopf und folgte ihm durch die Tür nebenan. Die anderen waren in der dritten Tür verschwunden, vermutlich ebenfalls ein Schlafzimmer. In dem Zimmer standen sechs Betten, mit hellblauen Vorhängen, die man komplett zuziehen konnte.
Ich wurde durch einen spitzen Schrei erschreckt: „Bitte nicht! Wie soll ich nur die nächsten Wochen in diesem grausam hässlichem und uncoolem Bungalow aushalten? Ich wette meine Sachen passen nicht in den Schrank!“ Eine weitere Jugendliche hatte das Haus betreten. Sie hatte blonde lange Haare, eindeutig gefärbt, die sie seltsam hochgesteckt hatte und graue durchdringende Augen. Ab der ersten Sekunde dachte ich, dass sie vermutlich eine Zicke oder so etwas ähnliches ist. Allein die Anzahl ihrer Koffer fand ich sehr deutlich; aber da ich immer versuchte nicht zu voreingenommen zu sein ging ich auf sie zu und fragte sie freundlich: „Hallo, du bist Melanie oder?“
Zuerst sah sie mich etwas zweifelnd an, wie als wäre sie mit meinem Aussehen nicht zufrieden, dann antwortete sie: „ Ja, ganz richtig ich heiße Melanie, aber nennt mich doch ruhig Mel.“, sie lachte künstlich, „Ich komme aus Charlotte, wo mein Vater bei der Bank of America als eines der hohen Tiere arbeitet.“ Sie sah mich sehr stolz an und ich fand es sehr eingebildet, dass sie das so sagte, als wäre damit klar, dass sie hier die Chefin war. Übrigens konnte ich, obwohl sie nur ein ganz kleines Stück größer als ich war, das musste an ihren hohen Absätzen und ihrer Kopfhaltung liegen.
Ich hätte gerne etwas sehr unhöfliches gesagt, hielt mich aber zurück und entgegnete nur: „Mein Name ist Amy und mein Vater ist seit 5 Jahren tot, meine Mutter arbeitet im Büro in der Nähe. Schön, dich kennenzulernen.“
„Dein Vater ist tot? Das tut mir leid für dich.“, mischte sich Luna leise ein, die plötzlich hinter mir auftauchte.
Melanie hingegen ließ das kalt und sie entgegnete: „ Ich bin mindestens genauso schlimm dran - meine Mutter hat meinen Vater verlassen, als ich gerade erst geboren war. Mein Vater hat sie nie wieder gesehen, aber vor ein paar Monaten hat er einen Brief bekommen, von ihr, mit dem ausdrücklichen Wunsch mich hier her zu schicken. Und nun hat er mich einfach hier hin abgeschoben mit den Worten: War eh nur ein One-Night-Stand, jetzt bin ich sie und ihre Spinnereien los! Aber mir ist das egal, ich mochte ihn sowieso nie wirklich, er war nie da und ich wurde von vielen verschiedenen Nanny’s aufgezogen.“
Ich war erschreckt, als ich das hörte, aber noch erschreckter war ich, dass es sie wirklich nicht zu kümmern schien. Man sah Luna an, dass es ihr genauso ging.
In diesem Augenblick kam Orion und unterbrach sämtliche Gedankengänge von mir: „Tut mir leid wenn ich euer Kaffeekränzen hier stören muss, aber wir wollen schon mal anfangen mit Betten beziehen und so. Ich dachte, dass ihr vielleicht mitbestimmen wollt, wer wo schläft und so weiter.“
„Natürlich!“, zischte Melanie ungehalten.
Ich nickte und Luna bedankte sich noch leiser als sonst für die Information. Sie wurde ein bisschen rot im Gesicht als sie merkte, dass Orion sie musterte. Dann zog Mel an uns vorbei und ging in den anderen Raum mit den Betten, in dem wir anderen vorher schon gestanden hatten. Sie warf den Kopf ein wenig in den Nacken und sah sich zweifelnd das Zimmer und die Betten an. Schließlich brachte sie ihre Sachen auf das Bett, das Liam schon Minuten zuvor ausgewählt hatte und sagte autoritär:" Ich werde, wenn überhaupt, hier schlafen." Mein Bruder, der gerade seine Sachen ins Jungenbadezimmer gebracht hatte sah sie verdutzt an und stellte fest, dass dies eigentlich sein Bett war und sie wohl ein anderes wählen müsse. Daraufhin sah sie ihn wie ein trotziges Kind an und stolzierte dann in das andere Schlafzimmer, um dort dasselbe Bett zu beziehen, wobei sie sich dabei sehr tolpatschig bewies und Luna und ich ihr halfen. Danach suchten auch wir unsere Betten aus und bezogen sie.
"Also", stellte Melanie fest, " wir kommen jetzt wohl zur wichtigsten Besprechung. Wer nimmt welchen Schrank?"
Ich musste, obwohl ich noch nicht einmal ihren Gesichtsausdruck gesehen hatte, da ich noch beschäftigt war, sofort anfangen zu grinsen und dachte mir nur:" War klar."
Luna, die sonst immer bedacht darauf war nicht wirklich aufzufallen, wählte als Erste den Schrank in der Nähe ihres Bettes. Ich wählte danach, und dann wählte Mel. Beim Einräumen der Klamotten fragte sie schließlich, auf einen neben fälligen Ton bedacht, ob es uns rein zufällig etwas ausmachen würde, wenn sie die restlichen Schränke ebenfalls belegen würde, was sie schließlich auch tat. Wieder musste ich ein wenig grinsen.
Als wir endlich fertig waren mit einräumen und dem Einteilen des Küchendienstes und etlichen anderen Reglungen, setzten wir uns auf die Couch und begannen zu erzählen, wer wir eigentlich waren, woher wir kamen und wieso wir hier waren.
Orion, der Rotschopf begann: " Ich komme aus einem kleinem Dorf in Irland. Vor ungefähr einem Jahr hat sich mein Leben entscheidend verändert, und schließlich sind wir umgezogen. Ich hatte das Glück selber wählen zu können, auf welche Schule ich gehen möchte, und tadaa, ich bin hier." Er grinste und und sah tatsächlich sehr zufrieden aus.
Mel sah das aber ganz anders:" Ich wollte nie auf diese Schule, mein Vater hat mich hierher abgeschoben auf Wunsch meiner Mutter, die inzwischen in einer Psychiatrie gelandet sein müsste, sie hat meinem Vater angeblich in ihrem Brief geschrieben, dass sie ein Werwolf wäre und ich auch bald anfangen würde den Mond anzubellen und ich deshalb auf diese Schule gehen müsste. Einfach Unglaublich. Vorher konnte ich nicht im Traum daran denken, so zu leben." Bei dem letzten Satz betonte sie das so sehr deutlich.
Luna begann ebenfalls mit leiser Stimme ihre Geschichte zu erzählen:" Ich komme aus einem Londoner Waisenhaus. Meine Eltern sind höchstwahrscheinlich bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich noch ein Baby war, aber da ich sie nicht kannte, kann ich sie auch nicht vermissen. Marie, ein älteres Mädchen im Waisenhaus hat sich immer wie eine große Schwester um mich gekümmert. Ich vermisse sie."
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es wäre in einem Waisenhaus aufzuwachsen. Ohne Mumm, ohne meine beiden großen Brüder, und ohne meinen Dad je gekannt zu haben, was war das für ein Leben? Beinahe hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen, doch dann überlegte ich, dass es nur verletzend sein würde so etwas zu sagen.
Nach einer kurzen Stille setzte Connor zu seiner und unserer viel weniger schlimmen Geschichte an: " Meine Mumm hat entschieden, dass wir umziehen müssen, da sie nicht mit ihrem Haushalt alleine klarkommt und Grace und Sam die Geschwister unseres Vaters sind. Und Bruce ist sein Vater, aber nur Liam hat ihn mal getroffen. Auch unsere Mumm hat angefangen komisches Zeugs über Magie zu reden, und das niemand beweisen konnte, dass es sie nicht gibt. Fakt ist, dass auch sie innerhalb der letzten Zeit völlig durchgeknallt ist." Eigentlich hatte er die Tatsachen schlicht und einfach aufgezählt, aber wegen seinem Gesichtsausdruck konnte ich ihn nicht ernst nehmen und hätte garantiert angefangen zu lachen, wenn Orion nicht in diesem Augenblick gefragt hätte: " Hatte euer Vater nicht mitzubestimmen?"
Nach einer kurzen Stille erzählte Liam ihm um einiges ruhiger und mit angemessenem Tonfall: " Unser Dad ist vor fünf Jahren gestorben. Connor und ich waren damals elf, Amy erst neun. Er hatte einen Unfall. Was genau geschehen ist, weiß höchstens unsere Mutter, aber sie sagt nur immer wieder, dass es ein Unfall war."
Als er geendet hat war es wieder still, noch nicht einmal Mel traute sich daraufhin etwas zu sagen.
Schließlich wurde die Stille von meinem knurrenden Bauch unterbrochen. Alle sahen mich an und mussten mindestens grinsen. Connor bemerkte, dass es ihm ähnlich ging, also gingen wir Richtung Mensa und aßen.
Nachdem wir gegessen hatten, waren wir die Umgebung erkunden gegangen, Mel war zurück ins Bungalow gegangen um ihren Freunden auf Facebook zu posten. Orion ging ebenfalls nach ein paar Minuten, er hatte ein wichtiges Treffen, das er nicht verpassen durfte. Es blieben meine Brüder und Luna und ich. Wir gingen zuerst ins Hauptgebäude.